Wir leben in der Zeit eines historischen Verbrechens, das alle schockiert und fassungslos gemacht hat. Der russische Krieg in der Ukraine dauert nun schon seit über einem Monat an und die humanitäre Krise verschlimmert sich von Tag zu Tag. Millionen von Menschen sind aus dem Land geflohen, ohne zu wissen, was mit ihren Angehörigen passiert ist, wann sie zurückkehren können und ob es überhaupt noch etwas gibt, wohin sie zurückkehren können. Überall in Europa haben sich Tausende von Menschen organisiert, um den Ukrainern auf jede erdenkliche Weise zu helfen.
Wir als estnisches Unternehmen standen vor der Entscheidung, wie wir uns dazu äußern und wollen Geschichten von Mitarbeitern veröffentlichen, die erzählenswert sind und einen Einblick geben, was passiert ist, als der Krieg ausbrach.
Der Drang zu helfen
Ott war in der Stadt. Die Stadt ist Berlin und Ott ist der ehemalige Chief of Marketing von Ampler Bikes und ein guter Freund von Benni, dem Event Manager und Kopf des Event-Teams.
„Benni, wir müssen was machen.“, sagte er und das brachte die Steine ins Rollen.
Es war der Tag, an dem über eine halbe Million Menschen gegen den Krieg in der Ukraine, auf die Straße gegangen waren. Die beiden hatten Kontakt aufgenommen mit einem Verein, der am Schlesischen Tor in Berlin einen Posten hatte und einige Mithelfer zusammenbrachte.
„Die suchen Leute, die Medikamente, Ausrüstung, Kleidung zur Ukraine fahren wollen. Der Verein hatte eine Sammelstelle eingerichtet, hat aber keine Autos und Fahrer.“
Am Telefon war Ardo, der Mitgründer von Ampler Bikes. Er gab grünes Licht für das Nutzen des Firmenwagens und der Tankkarte auf Kosten des Unternehmens. Darauf haben sich Benni und Ott in der Space Medusa getroffen, einer ukrainischen Kneipe am Schlesischen Tor.
Bennis Frau Katya, die aus der Ukraine stammt, half mit den Übersetzungen. Auf dem Gelände herrschte hektisches Chaos. Verschiedene Busse und Lieferwagen waren mit Ausrüstung gefüllt. Hauptsächlich ging es um Hilfsgüter wie Schutzwesten, Medikamente oder alte NVA-Helme (Von der Nationalen Volksarmee). Der Ampler-Bus war bis zur Decke gefüllt. Auch ein Schlafsack und ein paar Decken wurden für die kommenden bitterkalten Nächte eingepackt.
Die Fahrt verlief durch ganz Polen, über Kraków, Roslav und ganz bis zum Grenzübergang Richtung Lviv. Die Tage waren von einem tiefen Verlust geprägt. Ein Verlust an Zuversicht für die Zukunft Europas, ein Verlust an Menschlichkeit. Wie können einem Menschen so egal sein? Dem Drang, zu helfen, stand das lähmende Gefühl gegenüber, die Kontrolle zu verlieren.
Abends, gegen 10 Uhr sind sie angekommen. Wie verabredet wurde das Kennwort durchgegeben: „Slava Ukraini“, also „Ruhm der Ukraine“. Das Hallentor öffnete sich. Dann ging es schnell. 5 Leute haben mit angepackt und ratzfatz das Auto leer geräumt.
Es war spät geworden. Sie sind weitergefahren an den Busbahnhof in der Nähe der Grenze zur Ukraine, um zu schauen, ob sie noch jemanden mitnehmen können.
Der Gedanke, die frei gewordene Rückbank zu nutzen, um eine Mitfahrgelegenheit anzubieten, kam auf und so fuhren sie weiter, in Richtung der ukrainischen Grenze.
“Es war saukalt, hat dann später auch noch geschneit. Wir sind da angekommen mit dem Wagen. Es war ein riesiger, beleuchteter Parkplatz. Das rote Kreuz hatte Zelte aufgestellt. ”
Etliche Autos mit ukrainischen Nummernschildern standen da. Viele Leute kamen aus ganz Europa, um ihre Familien aus der Ukraine zu holen.
Ott hatte ein Auto mit estnischen Nummernschild entdeckt, einen Transporter. Der Fahrer half dabei, die Flüchtlinge auf die Autos zu verteilen, die eine Mitfahrgelegenheit brachten. Und so lernten die beiden eine Mutter und ihr Kind kennen, die in Richtung Berlin unterwegs waren.
Ott konnte etwas russisch mit ihnen sprechen. Sie hatten seit 24 Stunden nicht mehr geschlafen und hatten sich auf dem Rücksitz zur Ruhe gelegt – endlich.
So kehrten sie zurück, nach Berlin. Die Mutter und ihr Kind hatten einen Schlafplatz bei Benni und Katja für die ersten Tage erhalten, die Zugtickets zu ihren Freuden in der Hand und umarmten die Runde, mit Tränen in den Augen.